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Vorwort zum Katalog SPUR 1958 - 1965
Christa Schübbe, 2003
Die Malerei kehrt zurück, es ist wie ein Aufbruch, Zeichnung und Ölbild erobern ihr Terrain wieder, wo Videos und Fotografien ein Jahrzehnt lang das Feld beherrschten. Und es sind neue Bilder: klagloser, optimistischer, der Zukunft zugewandt. Diese große Lust auf gemaltes begegnet uns derzeit weltweit, von Fankfurter Städl bis zu Biennale, und überall ist eines deutlich spürbar: Die jungen Maler sind der Depression überdrüssig, ahnen, dass eine Epochenwende bevorsteht und leisten ihren Beitrag. Gesellschaft und Politik brauchen ein anderes Denken; wie so oft sind die Künstler die Ersten, die das notwendig Kommende gestalten. Dass Veränderung nicht Rückzug, Verzweiflung und Niedergang heißt, zeigt sich in der Kunst weltweit, und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten beschleunigen den Trend: Ob ich mit Künstlern in Chile spreche oder in China oder in New York, das Empfinden, das Veränderung Grund zur Freude sein kann, drückt sich überall aus, und die Sehnsucht nach Freude, nach Optimismus, auch nach Schönheit findet ihren Ausdruck eben nicht im mild belächelten Cocooning der Heim und Garten-Dekorateurinnen, sondern hat durchaus ihre Entsprechung in der jungen Kunst.
Provokativ wie Spur malen die Jungen von heute nicht, und dennoch erkenne ich Parallelen. Der Wunsch, zu verändern, war auch für Spur Motor. Auch Spur arbeitete bewußt – und noch vor der kommunikativen Globalisierung – in kosmopolitischen Zusammenhängen; München, Deutschland, das gleich zu eng. Sie schöpften aus Völkerkundemuseen weltweit, hatten Ausstellungen in England, in Paris, in ganz Skandinavien und den USA, ihre größten Erfolge in Skandinavien und Italien.
Und die Spur-Ausstellungen heute sind belagert, explosive Farbigkeit und grenzenlose Andersartigkeit ziehen in den Bann. Auf den ersten Blick erstaunt, dass so eine Gruppe, die es sich und anderen mit einer gewissen Sperrigkeit in der Auseinandersetzung nie leicht gemacht hat, heute soviel Anerkennung von jungen Kunsthistorikern, Sammlern und Museen erfährt. Aber ich sehe das nach dreißig Jahren mit Spur als die fast instinktgeleitete Hinwendung der Jungen zu den „Klassikern“ aus dem gleichen Geist - wenn auch der Ton der Malerei gegenwärtig romantischer, sanfter, weniger rigoros ist.
Diskussionen der jungen Künstler und Historiker vor Spur und über Spur erinnern an die Diskussionen von damals. Frechheit, Kreativität und Verweigerung gegenüber Autorität zieht die Jugend heute wieder zu einer Kunst, die ihre avantgardistische Unangepasstheit allein mit den Mittel der Malerei ausdrückt. Fast visionär hat Heimrad Prem schon vor vierzig Jahren über diese Hinwendung zu den „alten“ geschrieben: „Jede Generation finden ihren Geist in den Anregungen ihrer Großväter“.
Die kraftvolle Unbedingtheit, die Spur heute wieder attraktiv macht, war für mich als junge Galeristin damals ein Feuerwerk aus Spannung und Problematik. Nichts empfand ich als leicht, alles wurde diskutiert, viele Positionen blieben auch unvereinbar. Antikapitalismusthesen von Künstlern, die doch im System leben wollten, blieben unglaubwürdig, es gab Grenzen des Verstehens und extrem schwierige Phasen, und doch weiß ich, dass dieser Sprung ins kalte Wasser mir als Galeristin den Weg gewiesen hat. Meine Ausbildung als Galeristin ist nicht zu denken ohne die wortgewaltigen Diskussionen, die nun mehr als ein Vierteljahrhundert durchziehen. Mit Spur ist auch die Lust gewachsen, mich immer neu auf junge Kunst einzulassen, nicht stehenzubleiben. Das stete Ringen um Verständigung – Kern der Gruppenarbeit und Kern der gesellschaftlichen Diskussion jener Jahre - war für mich ein Kraftakt. Und es waren Lehrjahre. Ich habe davon profitiert, habe gelernt, das Kleinliche zu verwerfen. Dazu gehört Irrtum, gehört Dramatik, gehört Humor. Von all dem hatte Spur stets reichlich zu verteilen.
Den Weg zum Erfolg haben die vier Künstler sich mit sprödem Charm nicht gerade geebnet, für manches Museum waren sie kaum ausstellungsattraktiv, und doch gehören sie zu einer der wichtigsren künstlerischen und soziopolitischen Strömungen im Deutschland der 60er Jahre, und sie sind wesentlicher Teil der internationalen Entwicklung, die im Augenblick die Jüngeren in ihren Bann zieht. Die Gruppen der 60er Jahre, die den Geist des Aufbruchs in die Gesellschaft getragen haben bzw. diesen gespiegelt haben, erleben weltweit eine Renaissance von Equipo Cronica bis zu dvijenje oder k-66. Sie waren verbunden in dem Wunsch, die Vereinzelung zu überwinden, dem Geistigen, dem Gedanken Raum zu geben – und damit gesellschaftliche Perspektiven zu eröffnen.
Spur - das war auch eine Hassliebe, die Ehrlichkeit verlangt dieses Bekenntnis die Fettnäpfchen aufsuchten, mit einem Sendungsbewußtsein so erschreckend wie die Wirklichkeit, alles andere als harmonisch, oft am Rande des Erträglichen. Die vielen Gespräche mit HP Zimmer und Vera Zimmer, Heimrad und Monika Prem, mit Helmut Sturm und dann auch mit Lothar Fischer, sind meine Geschichte. Später lernte ich Klaus Wilke kennen, Rubina Marinotti und deren Brüder Christian und Franco, die mir vieles nahe brachten. Deren Vertrauen in meine Arbeit ist heute Grundlage dieser Ausstellung.
Spur war skandalös wie hellsichtig. Die Kunstgeneration der Gegenwart hat ein Recht auf diese Erfahrung. Spur nur ins private Kabinett zu hängen, wäre die zynische Pervesion einer großen Idee. Spur, das ist der Gedanke, Mitteilung, Öffentlichkeit, Weltbewegung, ist auch die Spur eines Aufbruchs - eine Spur, die geischert werden muss.